fashion x culture
Nichts erzählt wortwörtlich so hautnah Geschichte wie Mode – davon ist Dr. Maren Härtel, Kuratorin der Mode- und Textilsammlung am Historischen Museum Frankfurt, überzeugt. Wir haben mit ihr über die Zeitzeugin Mode, den Ausbruch aus Mustern und die weibliche Unabhängigkeit gesprochen.
Interview: Nathalie Eirich // Bilder: HMF
Mode spiegelt (oft) historische Entwicklungen wider. Wie schätzen Sie den Stellenwert von Kleidung für gesellschaftliche Umbrüche ein?
An ihr können wir sehr klar gesellschaftliche Entwicklungen ablesen – sie ist ein Spiegel ihrer Zeit. Besonders deutlich wird dies an der Frauenmode. Mit den neuen Verwaltungsstrukturen im 19. Jahrhundert beispielsweise erlangen Frauen Teilhabe am Berufsleben. Sie kombinieren Kleidungsstücke, denn die maßgefertigten, aufeinander abgestimmten Outfits erweisen sich als zu teuer und unpraktisch. Mit der weißen Bluse adaptieren sie das weiße Hemd des Mannes. Auch für letzteren erfolgt mit der Entwicklung des Bürgertums eine Zäsur: Das Herausstellen von oberflächlichen Modedetails verliert an Bedeutung. Er sieht sich als Ernährer der Familie, konzentriert sich auf den Beruf und nimmt sein modisches Erscheinungsbild zurück – er trägt ab sofort Anzug.
Kleidung hat und hatte oft eine Kommunikationsfunktion. Wie kommuniziert sie?
Grundsätzlich muss ich Mode im kulturellen Kontext und in der jeweiligen Zeit sehen. Ich bin immer Teil einer Gesellschaftsgruppe und habe die Wahl: Bin ich konform? Stelle ich mich dieser Gruppe auch äußerlich zugehörig dar? Oder begehe ich einen Bruch? Eine Abgrenzung vom Üblichen ist und war ein Statement. In der Geschichte liegt dies erneut oft auf Seite der Frau, beispielsweise durch das Hosentragen. Das Aneignen des männlichen Kleidungsstücks und der damit verbundene Angriff auf die Machtposition ist geradezu ein Schrei nach Veränderung.
„An praktischer, leicht zu wechselnder Kleidung ist immer auch ein neues Unabhängigkeits- und Körpergefühl ablesbar.“
Dr. Maren Härtel, Historisches Museum Frankfurt
Wie lässt sich anhand von Materialien technischer Fortschritt nachvollziehen?
Sehr deutlich! Ein Paradebeispiel ist die Baumwolle. Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Textilverarbeitung sich von der handwerklichen hin zur maschinellen Produktion entwickelt, wird sie zu DEM wichtigsten Material. Die maschinelle Verarbeitung führt zu einer gesteigerten Produktion – und diese wiederum zu einer Demokratisierung der Mode. Kleidung wird günstiger und ein Outfitwechsel für alle erschwinglich. So ändert sich das Kaufverhalten, Warenhäuser und eine Angebotsproduktion nach Konfektionsgrößen entstehen. Anfang des 20. Jahrhunderts folgt ein weiterer Einschnitt durch die Kunstfaser. Sie ist in größerer Menge vorhanden und damit noch günstiger. Am Ende dieser Entwicklung steht das Phänomen Fast Fashion.
Welchen Stellenwert hat Frankfurt als Modestandort in der Geschichte?
Frankfurt schaut auf eine lange, besondere Tradition in der Ausbildung für den Textil- und Modesektor zurück. Im 19. Jahrhundert entsteht die Deutsche Bekleidungsakademie. Zudem werden damals viele leitende Positionen in Ateliers von Frauen begleitet, wodurch sich Frankfurt von anderen Städten wie Berlin unterscheidet: Frauen sind früh in wichtigen Positionen der Industrie greifbar – manchmal in Ehepaar- oder Geschwisterbeziehungen, aber dennoch werden ihre Namen deutlich mit der Textil- und Modeproduktion in Verbindung gebracht.
Was zeichnet die Textilsammlung des Historischen Museums aus?
Sie ist mit über 16.000 Einzelobjekten eine große und hinsichtlich der Lagerung sehr anspruchsvolle Sammlung. Sie macht aus, dass wir die historische Entwicklung von Kleidungsverhalten in Frankfurt und der Region mit Stücken aus jeder Dekade ab dem Mittelalter sehr gut nachzeichnen können. Auch haben wir einen außergewöhnlichen Fokus: Unterwäsche. Mit Studien zur Unterbekleidung, lange bevor dies üblich war, hat das Haus eine beachtliche Sammlung aufgebaut und profitiert nun davon.
„Sei es eine aufgetrennte Naht oder ein fehlender Knopf: Kleidung zeigt so stark Spuren der eigenen Geschichte wie kein anderes Objekt.“
Dr. Maren Härtel, Historisches Museum Frankfurt
Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit als Textilkuratorin?
Wir haben viele Objekte aus dem geschichtlichen Kontext im Haus. Jedoch ist kein Objekt so nah am Menschen wie die Kleidung. Man spürt: Hier war Leben drin, die Person hat sich verändert. In gewisser Weise sind Lebensspuren an Kleidung ablesbar, das ist etwas Besonderes, das mich fasziniert.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Nichts erzählt wortwörtlich so hautnah Geschichte wie Mode – davon ist Dr. Maren Härtel, Kuratorin der Mode- und Textilsammlung am Historischen Museum Frankfurt, überzeugt. Wir haben mit ihr über die Zeitzeugin Mode, den Ausbruch aus Mustern und die weibliche Unabhängigkeit gesprochen.
Interview: Nathalie Eirich // Bilder: HMF
Mode spiegelt (oft) historische Entwicklungen wider. Wie schätzen Sie den Stellenwert von Kleidung für gesellschaftliche Umbrüche ein?
An ihr können wir sehr klar gesellschaftliche Entwicklungen ablesen – sie ist ein Spiegel ihrer Zeit. Besonders deutlich wird dies an der Frauenmode. Mit den neuen Verwaltungsstrukturen im 19. Jahrhundert beispielsweise erlangen Frauen Teilhabe am Berufsleben. Sie kombinieren Kleidungsstücke, denn die maßgefertigten, aufeinander abgestimmten Outfits erweisen sich als zu teuer und unpraktisch. Mit der weißen Bluse adaptieren sie das weiße Hemd des Mannes. Auch für letzteren erfolgt mit der Entwicklung des Bürgertums eine Zäsur: Das Herausstellen von oberflächlichen Modedetails verliert an Bedeutung. Er sieht sich als Ernährer der Familie, konzentriert sich auf den Beruf und nimmt sein modisches Erscheinungsbild zurück – er trägt ab sofort Anzug.
Kleidung hat und hatte oft eine Kommunikationsfunktion. Wie kommuniziert sie?
Grundsätzlich muss ich Mode im kulturellen Kontext und in der jeweiligen Zeit sehen. Ich bin immer Teil einer Gesellschaftsgruppe und habe die Wahl: Bin ich konform? Stelle ich mich dieser Gruppe auch äußerlich zugehörig dar? Oder begehe ich einen Bruch? Eine Abgrenzung vom Üblichen ist und war ein Statement. In der Geschichte liegt dies erneut oft auf Seite der Frau, beispielsweise durch das Hosentragen. Das Aneignen des männlichen Kleidungsstücks und der damit verbundene Angriff auf die Machtposition ist geradezu ein Schrei nach Veränderung.
„An praktischer, leicht zu wechselnder Kleidung ist immer auch ein neues Unabhängigkeits- und Körpergefühl ablesbar.“
Dr. Maren Härtel, Historisches Museum Frankfurt
Wie lässt sich anhand von Materialien technischer Fortschritt nachvollziehen?
Sehr deutlich! Ein Paradebeispiel ist die Baumwolle. Anfang des 19. Jahrhunderts, als die Textilverarbeitung sich von der handwerklichen hin zur maschinellen Produktion entwickelt, wird sie zu DEM wichtigsten Material. Die maschinelle Verarbeitung führt zu einer gesteigerten Produktion – und diese wiederum zu einer Demokratisierung der Mode. Kleidung wird günstiger und ein Outfitwechsel für alle erschwinglich. So ändert sich das Kaufverhalten, Warenhäuser und eine Angebotsproduktion nach Konfektionsgrößen entstehen. Anfang des 20. Jahrhunderts folgt ein weiterer Einschnitt durch die Kunstfaser. Sie ist in größerer Menge vorhanden und damit noch günstiger. Am Ende dieser Entwicklung steht das Phänomen Fast Fashion.
Welchen Stellenwert hat Frankfurt als Modestandort in der Geschichte?
Frankfurt schaut auf eine lange, besondere Tradition in der Ausbildung für den Textil- und Modesektor zurück. Im 19. Jahrhundert entsteht die Deutsche Bekleidungsakademie. Zudem werden damals viele leitende Positionen in Ateliers von Frauen begleitet, wodurch sich Frankfurt von anderen Städten wie Berlin unterscheidet: Frauen sind früh in wichtigen Positionen der Industrie greifbar – manchmal in Ehepaar- oder Geschwisterbeziehungen, aber dennoch werden ihre Namen deutlich mit der Textil- und Modeproduktion in Verbindung gebracht.
Was zeichnet die Textilsammlung des Historischen Museums aus?
Sie ist mit über 16.000 Einzelobjekten eine große und hinsichtlich der Lagerung sehr anspruchsvolle Sammlung. Sie macht aus, dass wir die historische Entwicklung von Kleidungsverhalten in Frankfurt und der Region mit Stücken aus jeder Dekade ab dem Mittelalter sehr gut nachzeichnen können. Auch haben wir einen außergewöhnlichen Fokus: Unterwäsche. Mit Studien zur Unterbekleidung, lange bevor dies üblich war, hat das Haus eine beachtliche Sammlung aufgebaut und profitiert nun davon.
„Sei es eine aufgetrennte Naht oder ein fehlender Knopf: Kleidung zeigt so stark Spuren der eigenen Geschichte wie kein anderes Objekt.“
Dr. Maren Härtel, Historisches Museum Frankfurt
Was fasziniert Sie an Ihrer Arbeit als Textilkuratorin?
Wir haben viele Objekte aus dem geschichtlichen Kontext im Haus. Jedoch ist kein Objekt so nah am Menschen wie die Kleidung. Man spürt: Hier war Leben drin, die Person hat sich verändert. In gewisser Weise sind Lebensspuren an Kleidung ablesbar, das ist etwas Besonderes, das mich fasziniert.
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