fashion x future
Lange war Geschlecht ein binäres Konstrukt, dann wurde es durchlässig und jetzt arbeitet die Mode daran, es ganz abzuschaffen. Und was kommt dann?
Text: Alex Bohn
Header-Fotos: LOEWE/David Sims
LOEWE/David Sims
LOEWE/David Sims
LOEWE/David Sims
Lanvin, Marni, Raf Simons, Miu Miu, Valentino – man kann die Liste der großen Luxusmarken fast beliebig fortführen, die gerade energisch daran arbeiten, die Kategorisierung nach Frauen- und Männermode abzuschaffen. Für den kommenden Frühling und Sommer tragen alle Models, egal welchen Geschlechts, bei Lanvin und Marni bunte und mädchenhafte Blümchenmuster, bei Miu Miu klassisch männliche Chinos und Trenchcoats und bei Raf Simons klerikal anmutende Kleider und Röcke, die an Schuluniformen erinnern. Mehr denn je scheint die Nachricht zu sein: Erlaubt ist was gefällt, das stilistische Repertoire der klassischen Frauen- und Männermode steht allen zur Verfügung. Kommt so also das Ringen um den Begriff Gender an einen vorläufigen Endpunkt?
Mode ist nie nur funktionale Kleidung oder weltferne Kunst, sie ist immer auch ein Seismograf gesellschaftlicher Verfassung. Als solcher hat sie den Kampf um die Geschlechterdebatte widergespiegelt und progressiv vorangetrieben. Dass heute mit einiger Selbstverständlichkeit Trans-Models wie Hari Nef, Nathan Westling, Lea T oder Krow Tian über die internationalen Laufstege flanieren und sich renommierte Models wie die Belgierin Hanne Gaby Odile offen als intersexuell bekennen können, ist das Ergebnis einer längst überfälligen Entwicklung.
LOEWE/David Sims
Marni
„Dass eine Bundeskanzlerin heute nach Belieben Anzug tragen kann, oder nicht, ist eine Errungenschaft, an der auch die Mode einen Anteil hat.“
Alex Bohn
Marni
Marni
MIUMIU
Raf Simons
Heute kaum noch vorstellbar, aber noch vor hundert Jahren galt: Geschlecht, zumindest als gesellschaftlich akzeptierte Konvention, existiert nur als binäre Vorstellung. Man ist entweder weiblich oder männlich. Gleichzeitig ist Heterosexualität die einzig akzeptierte Norm, die Kleiderordnung ist ähnlich unmissverständlich, Frauen tragen Kleider und Röcke, Männer haben – im Wortsinn – die Hosen an. Dass eine Bundeskanzlerin heute nach Belieben Anzug tragen kann, oder nicht, ist eine Errungenschaft, an der auch die Mode einen Anteil hat. Hätte nicht Coco Chanel vor rund hundert Jahren mit der Konvention gebrochen und Frauen Hosen angezogen, vielleicht wäre das Kostüm bis heute Pflicht.
Wenn in den Kollektionen für das kommende Frühjahr und Sommer 2022 die Männer bei Loewe und Marni vor allen Dingen Röcke und bodenlange Kleider tragen, dann ist das auch Ausdruck einer Sehnsucht nach Gleichberechtigung, die es den Männern erlaubt, traditionell weibliches Terrain zu erobern. Denn was das angeht, haben die Frauen in der Mode die Nase leicht vorn. Sie mögen zwar den Gender Pay Gap noch nicht geschlossen haben, aber sie tragen mit größerer Selbstverständlichkeit die gesamte Bandbreite traditionell männlicher Kleidung. Umgekehrt ist das noch nicht der Fall. Zwar trug schon der Sänger Kurt Cobain in den 90ern Blümchenkleid und Schottenrock und heute zeigt sich der Rapper A$AP Rocky ganz nach Belieben in traditionell femininer Kleidung. Aber an der Wall Street oder im Bundestag hat man noch keinen Mann in Rock oder Kleid gesehen. Ganz so beliebig ist das Thema Geschlecht im Alltag noch nicht, die Mode hat also weiterhin die Aufgabe Wegbereiterin zu sein. Über seine Kleider und Röcke für Männer sagt der belgische Raf Simons: „Ich finde es wichtig, jetzt diese Mode zu entwerfen, denn gerade kaufen so viele Männer Frauenkleidung. Aber die Frage ist doch, ob sie Frauenkleidung kaufen, die für Männer angefertigt wird, oder für Frauen und Männer.“
Interessant ist, das ausgerechnet jetzt einige Marken, die sich zuvor auf Frauen- oder Männermode spezialisiert hatten, Kollektionen für das andere Geschlecht lancieren. Dazu gehört neben der japanischen Marke Issey Miyake, die im März das Männerlabel IM ins Leben rief, auch die amerikanische Marke The Row, die bislang nur Frauenmode entworfen hat und die skandinavische Männermodemarke Asket. Deren Mitgründer August Bard-Bringéus ist überzeugt, dass es in Zukunft weniger um das Geschlecht, als die perfekte Passform gehen wird: „Wir beobachten schon seit Jahren, dass immer mehr Frauen bei uns einkaufen“, sagt er. Kein Wunder, die Kollektion der schwedischen Marke besteht aus Klassikern der Männermode, die für Frauen ebenso relevant sind: Geradlinige T-Shirts, Woll- und Kaschmirpullover, Oxfordhemden, Chinos und Jeans. Dass ihre Männermode auch Frauen anspricht, hat mit ihrem Passformsystem zu tun. „Man kann bei uns zusätzlich zu den Konfektionsgrößen unterschiedliche Längen wählen“, sagt August Bard-Bringéus, „so passt unsere Mode ganz unterschiedlichen Körpertypen.“ Dass die Vorstellung binärer Geschlechtergrenzen obsolet und die Mode inklusiver und vielfältiger ist, findet er eine unverzichtbare und überfällige Entwicklung. Gleichzeitig ist er, genau wie der Belgier Raf Simons, der diesen Aspekt mit seiner Kollektion für beide Geschlechter berücksichtigt, überzeugt, dass Mode immer auch an ihrer Passform gemessen wird. Wenn es nicht mehr wichtig ist, als welches Geschlecht man sich identifiziert, bleibt doch der Körper als solches bedeutsam. Mode zu entwerfen, die den vielfältigen Körpertypen passt, ist und bleibt eine Aufgabe der Mode.
Raf Simons
Alex Bohn ist leitende Redakteurin des Frankfurter Allgemeine Zeitung Quarterly und arbeitet als Autorin, Beraterin und Speaker zu den Themen Mode, Wirtschaft und Nachhaltigkeit für Kunden wie Mercedes-Benz, Glashütte, Audemars Piguet, Boss, Die Zeit und Condé Nast. Außerdem spielt sie leidenschaftlich gern Tennis.
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Text: Alex Bohn
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Lanvin, Marni, Raf Simons, Miu Miu, Valentino – man kann die Liste der großen Luxusmarken fast beliebig fortführen, die gerade energisch daran arbeiten, die Kategorisierung nach Frauen- und Männermode abzuschaffen. Für den kommenden Frühling und Sommer tragen alle Models, egal welchen Geschlechts, bei Lanvin und Marni bunte und mädchenhafte Blümchenmuster, bei Miu Miu klassisch männliche Chinos und Trenchcoats und bei Raf Simons klerikal anmutende Kleider und Röcke, die an Schuluniformen erinnern. Mehr denn je scheint die Nachricht zu sein: Erlaubt ist was gefällt, das stilistische Repertoire der klassischen Frauen- und Männermode steht allen zur Verfügung. Kommt so also das Ringen um den Begriff Gender an einen vorläufigen Endpunkt?
LOEWE/David Sims
LOEWE/David Sims
LOEWE/David Sims
Mode ist nie nur funktionale Kleidung oder weltferne Kunst, sie ist immer auch ein Seismograf gesellschaftlicher Verfassung. Als solcher hat sie den Kampf um die Geschlechterdebatte widergespiegelt und progressiv vorangetrieben. Dass heute mit einiger Selbstverständlichkeit Trans-Models wie Hari Nef, Nathan Westling, Lea T oder Krow Tian über die internationalen Laufstege flanieren und sich renommierte Models wie die Belgierin Hanne Gaby Odile offen als intersexuell bekennen können, ist das Ergebnis einer längst überfälligen Entwicklung.
LOEWE/David Sims
Marni
Marni
„Dass eine Bundeskanzlerin heute nach Belieben Anzug tragen kann, oder nicht, ist eine Errungenschaft, an der auch die Mode einen Anteil hat.“
Alex Bohn
Marni
MIUMIU
Heute kaum noch vorstellbar, aber noch vor hundert Jahren galt: Geschlecht, zumindest als gesellschaftlich akzeptierte Konvention, existiert nur als binäre Vorstellung. Man ist entweder weiblich oder männlich. Gleichzeitig ist Heterosexualität die einzig akzeptierte Norm, die Kleiderordnung ist ähnlich unmissverständlich, Frauen tragen Kleider und Röcke, Männer haben – im Wortsinn – die Hosen an. Dass eine Bundeskanzlerin heute nach Belieben Anzug tragen kann, oder nicht, ist eine Errungenschaft, an der auch die Mode einen Anteil hat. Hätte nicht Coco Chanel vor rund hundert Jahren mit der Konvention gebrochen und Frauen Hosen angezogen, vielleicht wäre das Kostüm bis heute Pflicht.
Wenn in den Kollektionen für das kommende Frühjahr und Sommer 2022 die Männer bei Loewe und Marni vor allen Dingen Röcke und bodenlange Kleider tragen, dann ist das auch Ausdruck einer Sehnsucht nach Gleichberechtigung, die es den Männern erlaubt, traditionell weibliches Terrain zu erobern. Denn was das angeht, haben die Frauen in der Mode die Nase leicht vorn. Sie mögen zwar den Gender Pay Gap noch nicht geschlossen haben, aber sie tragen mit größerer Selbstverständlichkeit die gesamte Bandbreite traditionell männlicher Kleidung. Umgekehrt ist das noch nicht der Fall. Zwar trug schon der Sänger Kurt Cobain in den 90ern Blümchenkleid und Schottenrock und heute zeigt sich der Rapper A$AP Rocky ganz nach Belieben in traditionell femininer Kleidung. Aber an der Wall Street oder im Bundestag hat man noch keinen Mann in Rock oder Kleid gesehen. Ganz so beliebig ist das Thema Geschlecht im Alltag noch nicht, die Mode hat also weiterhin die Aufgabe Wegbereiterin zu sein. Über seine Kleider und Röcke für Männer sagt der belgische Raf Simons: „Ich finde es wichtig, jetzt diese Mode zu entwerfen, denn gerade kaufen so viele Männer Frauenkleidung. Aber die Frage ist doch, ob sie Frauenkleidung kaufen, die für Männer angefertigt wird, oder für Frauen und Männer.“
Raf Simons
Raf Simons
Interessant ist, das ausgerechnet jetzt einige Marken, die sich zuvor auf Frauen- oder Männermode spezialisiert hatten, Kollektionen für das andere Geschlecht lancieren. Dazu gehört neben der japanischen Marke Issey Miyake, die im März das Männerlabel IM ins Leben rief, auch die amerikanische Marke The Row, die bislang nur Frauenmode entworfen hat und die skandinavische Männermodemarke Asket. Deren Mitgründer August Bard-Bringéus ist überzeugt, dass es in Zukunft weniger um das Geschlecht, als die perfekte Passform gehen wird: „Wir beobachten schon seit Jahren, dass immer mehr Frauen bei uns einkaufen“, sagt er. Kein Wunder, die Kollektion der schwedischen Marke besteht aus Klassikern der Männermode, die für Frauen ebenso relevant sind: Geradlinige T-Shirts, Woll- und Kaschmirpullover, Oxfordhemden, Chinos und Jeans. Dass ihre Männermode auch Frauen anspricht, hat mit ihrem Passformsystem zu tun. „Man kann bei uns zusätzlich zu den Konfektionsgrößen unterschiedliche Längen wählen“, sagt August Bard-Bringéus, „so passt unsere Mode ganz unterschiedlichen Körpertypen.“ Dass die Vorstellung binärer Geschlechtergrenzen obsolet und die Mode inklusiver und vielfältiger ist, findet er eine unverzichtbare und überfällige Entwicklung. Gleichzeitig ist er, genau wie der Belgier Raf Simons, der diesen Aspekt mit seiner Kollektion für beide Geschlechter berücksichtigt, überzeugt, dass Mode immer auch an ihrer Passform gemessen wird. Wenn es nicht mehr wichtig ist, als welches Geschlecht man sich identifiziert, bleibt doch der Körper als solches bedeutsam. Mode zu entwerfen, die den vielfältigen Körpertypen passt, ist und bleibt eine Aufgabe der Mode.
Alex Bohn ist leitende Redakteurin des Frankfurter Allgemeine Zeitung Quarterly und arbeitet als Autorin, Beraterin und Speaker zu den Themen Mode, Wirtschaft und Nachhaltigkeit für Kunden wie Mercedes-Benz, Glashütte, Audemars Piguet, Boss, Die Zeit und Condé Nast. Außerdem spielt sie leidenschaftlich gern Tennis.
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