fashion x values
Valerie Sietzy ist Vegetarierin. Für ihr Label EARLY entwirft sie hochwertige Taschen und Accessoires aus Leder. Ein Widerspruch? Wir haben mit der Frankfurter Designerin über innere Konflikte, pflanzliche Gerbstoffe und ihre große Hoffnung gesprochen: veganes Leder aus Pilzen.
Text: Katharina de Silva
Fotos: Marc Krause
Wann und wie bist du auf die Idee gekommen, EARLY zu gründen?
Ich fand es schon immer spannend, alte Materialien wiederzuverwerten. Schon vor Jahren habe ich aus zerschlissenen Flohmarkt-Lederjacken Pouches genäht. 2012 hatte ich dann die Idee, eine Hip Bag aus Stoff produzieren zu lassen. In Heusenstamm gab es damals eine kleine Ledermanufaktur – ein Relikt aus den goldenen Zeiten, als Offenbach noch deutsche Lederhauptstadt war. Mein Vater kannte den Inhaber und so kam es, dass er mich eingeladen hat, mich in seiner Werkstatt umzugucken. Dabei bin ich auf einen kleinen Raum gestoßen, in dem Lederreste von Produktionen aus den 1980er- und 90er-Jahren gelagert waren. Ein wahrer Schatz. Aus diesen Materialien ist meine erste Vintage-Kollektion und später auch mein Label EARLY entstanden.
Leder zu verarbeiten ist ein anspruchsvolles Handwerk. Hast du dir das selbst beigebracht?
Der Chef der Ledermanufaktur hat mir damals erlaubt, seine Werkstatt zu nutzen und mir sogar einen Arbeitsplatz eingerichtet. Durch Über-die-Schulter-Schauen habe ich das Handwerk dort quasi per Quereinstieg gelernt. Das Schwierigste an der Lederverarbeitung ist, dass beim Nähen ein Loch entsteht, das nicht mehr verschwindet. Stoff kann man auftrennen und zurücknähen. Bei Leder muss jeder Stich sitzen. Außerdem geht es darum, das Material verstehen zu lernen. Es ist ein Naturmaterial, das seine Eigenheiten hat. Dafür musste ich erst ein Gespür entwickeln.
Du bist selbst Vegetarierin. Wie rechtfertigst du vor dir selbst, dass du mit Leder arbeitest?
Es ist ein Dilemma. Wäre Leder nicht so ein schönes Naturmaterial, das an Langlebigkeit nicht zu übertreffen ist: Ich würde wahrscheinlich längst nicht mehr damit arbeiten. Aber bisher habe ich noch keine Alternative dazu gefunden. Und man muss tatsächlich sagen, dass die Verwertung sinnvoll ist. Global gesehen steigt die Fleischproduktion leider so stark an, dass das Leder tatsächlich als Abfallprodukt übrig bleibt. Produktionsbedingungen, wie sie in Bangladesch, China oder Indien häufig vorherrschen, kommen für mich aber keinesfalls infrage. Deshalb möchte ich auch nicht mit Händlern zusammenarbeiten, die mir nicht 100-prozentig sicher sagen können, wo die Kuh gestanden hat.
Valerie Sietzy
„Wenn ich schon mit Leder arbeite, dann möchte ich mir sicher sein, dass es das beste und ökologischste ist, das ich kriegen kann.“
Valerie Sietzy, EARLY
Wo haben denn die Kühe gestanden, deren Leder du verarbeitest?
Die Felle, die ich verwende, stammen definitiv von deutschen Rindern von deutschen Weiden, teils aus Bio-Haltung. Danach frage ich jedes Mal, wenn ich Leder bestelle. Mir ist auch super wichtig, dass die Lieferketten für mich überschaubar und greifbar sind. Ich kenne die Menschen, die dieses Leder produzieren, persönlich. Mit der Firma Ecopell aus Bayern bin ich regelmäßig telefonisch im Austausch. Den Vertreter der Firma Wet Green aus Baden-Württemberg habe ich schon mehrmals persönlich getroffen. Wenn ich schon mit Leder arbeite, möchte ich mir sicher sein, dass es das beste und ökologischste ist, das ich kriegen kann.
Und wie sieht es mit dem Gerbstoff aus?
Beide Firmen, mit denen ich zusammenarbeite, gerben rein pflanzlich und garantiert ohne Chrom. Die eine nutzt Olivenblatt-Extrakt, ein Abfallprodukt aus der Oliven- und Olivenöl-Produktion. Die andere arbeitet mit Rhabarber, bestimmten Eicheln und anderen Pflanzen, die einen starken Gerbstoff haben.
Einige Brands, allen voran Stella Mc Cartney, arbeiten seit Jahren erfolgreich mit Kunstleder. Wäre das eine Option für dich?
Auf jeden Fall! Ich bin schon sehr lange auf der Suche nach einer geeigneten Alternative. Leider bestand für mich immer das Problem, dass diese Kunstleder-Stoffe PU-beschichtet sind (Anm. d. Redaktion: Polyurethan), also Plastik verarbeitet wurde.
Ein anderes Manko ist ihre Langlebigkeit und dass es nicht so schön altert. Da bekomme ich ein Problem mit meiner deutschen Produktion: Wenn ich ein Produkt herstelle, für das der hier gängige Lohn bezahlt wird, dann hat das Endprodukt einen gewissen Preis. Und wenn mein Produkt dann nicht langlebig ist, wird es schwer, diesen Preis dem Kunden gegenüber zu rechtfertigen. Als kleiner Produzent ist es manchmal auch schlichtweg nicht möglich, an wirklich hochwertige Stoffe zu kommen, weil man gleich Hunderte von Rollen abnehmen muss.
„Ich habe für mich entschieden, dass ich mit meinem Label nicht noch mehr Plastik in die Welt bringen will.“
Valerie Sietzy, EARLY
Also hast du die Hoffnung aufgegeben, das perfekte Material zu finden?
Aktuell gilt meine Hoffnung dem sogenannten Fine Mycelium, einem Pilzgeflecht, das von Struktur, Haptik und den Eigenschaften her, echtem Leder sehr ähnlich sein soll. Hermès hat daraus gerade die erste Tasche gemacht. Ich kenne den Stoff schon seit ein paar Jahren, aber er war noch nicht marktreif und man konnte keine Samples bestellen. Das ändert sich jetzt hoffentlich. Bis dahin heißt die Alternative zu Leder für mich Textil. Ich habe für mich entschieden, dass ich mit meinem Label nicht noch mehr Plastik in die Welt bringen will. Deshalb verwende ich für die vegane Linie, an der ich aktuell arbeite, ausschließlich biologische Stoffe.
Deine neue, vegane Linie heißt EARLY STUDIO. Wo geht die Reise damit hin?
EARLY selbst hat eine ganz klare Ästhetik, an der ich auch nicht rütteln möchte. EARLY STUDIO hingegen kann alles Mögliche sein, nur eben kein Leder. Es ist für mich eine Art Plattform, auf der ich mich kreativ austoben kann. Das erste Produkt, das ich gelauncht habe, ist ein T-Shirt aus zertifizierter Biobaumwolle mit einem Druck, dessen Farbe ebenfalls zertifiziert ist. Im Frühjahr geht dann hoffentlich noch ein großer Shopper in Produktion. Ich habe wirklich lange gebraucht, das perfekte Material dafür zu finden. Ich glaube, mit Hanf ist mir das jetzt gelungen.
Vielen Dank für das Gespräch!
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Valerie Sietzy ist Vegetarierin. Für ihr Label EARLY entwirft sie hochwertige Taschen und Accessoires aus Leder. Ein Widerspruch? Wir haben mit der Frankfurter Designerin über innere Konflikte, pflanzliche Gerbstoffe und ihre große Hoffnung gesprochen: veganes Leder aus Pilzen.
Text: Katharina de Silva
Fotos: Marc Krause
Valerie Sietzy
Wann und wie bist du auf die Idee gekommen, EARLY zu gründen?
Ich fand es schon immer spannend, alte Materialien wiederzuverwerten. Schon vor Jahren habe ich aus zerschlissenen Flohmarkt-Lederjacken Pouches genäht. 2012 hatte ich dann die Idee, eine Hip Bag aus Stoff produzieren zu lassen. In Heusenstamm gab es damals eine kleine Ledermanufaktur – ein Relikt aus den goldenen Zeiten, als Offenbach noch deutsche Lederhauptstadt war. Mein Vater kannte den Inhaber und so kam es, dass er mich eingeladen hat, mich in seiner Werkstatt umzugucken. Dabei bin ich auf einen kleinen Raum gestoßen, in dem Lederreste von Produktionen aus den 1980er- und 90er-Jahren gelagert waren. Ein wahrer Schatz. Aus diesen Materialien ist meine erste Vintage-Kollektion und später auch mein Label EARLY entstanden.
Leder zu verarbeiten ist ein anspruchsvolles Handwerk. Hast du dir das selbst beigebracht?
Der Chef der Ledermanufaktur hat mir damals erlaubt, seine Werkstatt zu nutzen und mir sogar einen Arbeitsplatz eingerichtet. Durch Über-die-Schulter-Schauen habe ich das Handwerk dort quasi per Quereinstieg gelernt. Das Schwierigste an der Lederverarbeitung ist, dass beim Nähen ein Loch entsteht, das nicht mehr verschwindet. Stoff kann man auftrennen und zurücknähen. Bei Leder muss jeder Stich sitzen. Außerdem geht es darum, das Material verstehen zu lernen. Es ist ein Naturmaterial, das seine Eigenheiten hat. Dafür musste ich erst ein Gespür entwickeln.
Du bist selbst Vegetarierin. Wie rechtfertigst du vor dir selbst, dass du mit Leder arbeitest?
Es ist ein Dilemma. Wäre Leder nicht so ein schönes Naturmaterial, das an Langlebigkeit nicht zu übertreffen ist: Ich würde wahrscheinlich längst nicht mehr damit arbeiten. Aber bisher habe ich noch keine Alternative dazu gefunden. Und man muss tatsächlich sagen, dass die Verwertung sinnvoll ist. Global gesehen steigt die Fleischproduktion leider so stark an, dass das Leder tatsächlich als Abfallprodukt übrig bleibt. Produktionsbedingungen, wie sie in Bangladesch, China oder Indien häufig vorherrschen, kommen für mich aber keinesfalls infrage. Deshalb möchte ich auch nicht mit Händlern zusammenarbeiten, die mir nicht 100-prozentig sicher sagen können, wo die Kuh gestanden hat.
„Wenn ich schon mit Leder arbeite, dann möchte ich mir sicher sein, dass es das beste und ökologischste ist, das ich kriegen kann.“
Valerie Sietzy, EARLY
Wo haben denn die Kühe gestanden, deren Leder du verarbeitest?
Die Felle, die ich verwende, stammen definitiv von deutschen Rindern von deutschen Weiden, teils aus Bio-Haltung. Danach frage ich jedes Mal, wenn ich Leder bestelle. Mir ist auch super wichtig, dass die Lieferketten für mich überschaubar und greifbar sind. Ich kenne die Menschen, die dieses Leder produzieren, persönlich. Mit der Firma Ecopell aus Bayern bin ich regelmäßig telefonisch im Austausch. Den Vertreter der Firma Wet Green aus Baden-Württemberg habe ich schon mehrmals persönlich getroffen. Wenn ich schon mit Leder arbeite, möchte ich mir sicher sein, dass es das beste und ökologischste ist, das ich kriegen kann.
Und wie sieht es mit dem Gerbstoff aus?
Beide Firmen, mit denen ich zusammenarbeite, gerben rein pflanzlich und garantiert ohne Chrom. Die eine nutzt Olivenblatt-Extrakt, ein Abfallprodukt aus der Oliven- und Olivenöl-Produktion. Die andere arbeitet mit Rhabarber, bestimmten Eicheln und anderen Pflanzen, die einen starken Gerbstoff haben.
Einige Brands, allen voran Stella Mc Cartney, arbeiten seit Jahren erfolgreich mit Kunstleder. Wäre das eine Option für dich?
Auf jeden Fall! Ich bin schon sehr lange auf der Suche nach einer geeigneten Alternative. Leider bestand für mich immer das Problem, dass diese Kunstleder-Stoffe PU-beschichtet sind (Anm. d. Redaktion: Polyurethan), also Plastik verarbeitet wurde.
Ein anderes Manko ist ihre Langlebigkeit und dass es nicht so schön altert. Da bekomme ich ein Problem mit meiner deutschen Produktion: Wenn ich ein Produkt herstelle, für das der hier gängige Lohn bezahlt wird, dann hat das Endprodukt einen gewissen Preis. Und wenn mein Produkt dann nicht langlebig ist, wird es schwer, diesen Preis dem Kunden gegenüber zu rechtfertigen. Als kleiner Produzent ist es manchmal auch schlichtweg nicht möglich, an wirklich hochwertige Stoffe zu kommen, weil man gleich Hunderte von Rollen abnehmen muss.
„Ich habe für mich entschieden, dass ich mit meinem Label nicht noch mehr Plastik in die Welt bringen will.“
Valerie Sietzy, EARLY
Also hast du die Hoffnung aufgegeben, das perfekte Material zu finden?
Aktuell gilt meine Hoffnung dem sogenannten Fine Mycelium, einem Pilzgeflecht, das von Struktur, Haptik und den Eigenschaften her, echtem Leder sehr ähnlich sein soll. Hermès hat daraus gerade die erste Tasche gemacht. Ich kenne den Stoff schon seit ein paar Jahren, aber er war noch nicht marktreif und man konnte keine Samples bestellen. Das ändert sich jetzt hoffentlich. Bis dahin heißt die Alternative zu Leder für mich Textil. Ich habe für mich entschieden, dass ich mit meinem Label nicht noch mehr Plastik in die Welt bringen will. Deshalb verwende ich für die vegane Linie, an der ich aktuell arbeite, ausschließlich biologische Stoffe.
Deine neue, vegane Linie heißt EARLY STUDIO. Wo geht die Reise damit hin?
EARLY selbst hat eine ganz klare Ästhetik, an der ich auch nicht rütteln möchte. EARLY STUDIO hingegen kann alles Mögliche sein, nur eben kein Leder. Es ist für mich eine Art Plattform, auf der ich mich kreativ austoben kann. Das erste Produkt, das ich gelauncht habe, ist ein T-Shirt aus zertifizierter Biobaumwolle mit einem Druck, dessen Farbe ebenfalls zertifiziert ist. Im Frühjahr geht dann hoffentlich noch ein großer Shopper in Produktion. Ich habe wirklich lange gebraucht, das perfekte Material dafür zu finden. Ich glaube, mit Hanf ist mir das jetzt gelungen.
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